Mittwoch, 17. Mai 2017

Interview mit Thekla Kraußeneck ("Cronos Cube: Eamon")



"Mit Ihrem Lebenslauf sollten Sie...
...wenigstens den nötigen Enthusiasmus mitbringen!"

Apokalyptische Geschichten aus der Zukunft, die Suche nach einem vermeintlich besseren Leben, und das leise Entgleiten des Alltags - darum drehte sich der aktuelle myComics-Wettbewerb "Abgründe und Auswege". Einige der Beiträge stellten ihre Geschichte mit Witz und Charme dar, andere waren reine Dramen. Einige der Szenarien ähneln gar unserer Realität.

Mit "Cronos Cube: Eamon" entwickelte Thekla Kraußeneck einen spannenden Einblick in eine dystopische Gesellschaft, deren Bewohner von Drohnen verfolgt und stets beobachtet werden und die sich lieber in virtuelle Welten zurückziehen.

Wie immer wollten wir mehr zu den Gewinner-Comics wissen, und haben Thekla zu ihrem Comic, der eigenen Comic-Geschichte und zu aktuellen Projekten befragt:

Die Story von Cronos Cube: Eamon handelt vom totalüberwachten Europa einer dystopischen Zukunft. Was hat dich diesem Thema gebracht? Waren es unter anderem auch jüngere politische Enthüllungen?

Mit der Entwicklung von „Cronos Cube“ habe ich ungefähr Mitte 2011 begonnen. Damals ahnte noch niemand, dass Snowden bald die Welt verändern würde. Mit Ausnahme einiger Nerds, von denen ich ein paar in meinem Freundeskreis hatte. Die blickten mit einer ganz eigenen Perspektive auf die Möglichkeiten technischer Entwicklungen, sprachen natürlich auch darüber und steckten mich so mit dem Thema Überwachung an. Es flimmerte schon seit etlichen Jahren durch mein Leben. Also eigentlich kein Wunder, dass ich irgendwann anfing, das Thema auch literarisch zu verarbeiten.



Wie und was hast du zu dem Thema recherchiert?

Anfangs habe ich unkoordiniert einfach alles aufgesaugt, was ich dazu finden konnte: über Drohnen, Indect, Chips, Kameras, Algorithmen, KI und so weiter. Aber die richtige Recherche ging für mich erst in Dublin los. Meine Story sollte in Irland spielen, also flog ich insgesamt achtmal hin und sah mir alles genau an. Die Handlungsorte, aber auch die Menschen und vor allem die Geschichte der Insel. Mich interessierten vor allem die Aufstände; die Iren haben immer wieder versucht, sich gegen die britischen Kolonialherrscher aufzulehnen, darunter im Jahr 1916, beim berühmten Easter Rising. Warum ich das erzähle: Die zwölf Anführer des Aufstands wurden allesamt hingerichtet, und zwar im Kilmainham Gaol, einem alten Gefängnis in Dublin, das heute Touristen offensteht.
Der Arbeitsplatz - Der Ort an dem der Zauber geschieht.
Einer der Vordenker dieses Gefängnisses war Jeremy Bentham. Das ist der Mann, der sich das Panoptikum ausgedacht hat, ein Gefängnis, das so aufgebaut ist, dass es die totale Überwachung der Insassen ermöglicht.

Das Perfide daran: Die Gefangenen wissen nie genau, ob sie gerade beobachtet werden oder nicht. Bentham glaubte, dass sich die Gefangenen auf diese Weise zu besserem Verhalten erziehen ließen. Wer sich ständig unter Beobachtung fühlt, wird Fehltritte tunlichst vermeiden. Als ich auf den Infotafeln im Kilmainham Gaol von Bentham, seiner Denkweise und dem Panoptikum gelesen habe, ist mir ein ganzer Kronleuchter aufgegangen. Von da an habe ich in diese Richtung recherchiert. Kurz darauf kam Glenn Greenwalds „Die globale Überwachung“ auf den Markt, ein Buch, das zu einer meiner wichtigsten Recherchequellen wurde.

Die meisten haben Greenwald heute schon wieder vergessen: Er ist derjenige, der Snowden in Hongkong besucht hat, um die Dokumente entgegenzunehmen und die allerersten Artikel zu schreiben, die letztlich alles ins Rollen brachten. Es war ein krasses Gefühl, als ich in Greenwalds Buch von Bentham und dem Panoptikum las. Greenwald hatte denselben Gedanken wie ich. Heute finde ich das nicht mehr so abwegig: Wenn man lange genug zum Thema Überwachung recherchiert und dann auch darüber reflektiert, muss man früher oder später beim Panoptikum landen.


Für wie realistisch hältst du die Welt von Cronos Cube? Denkst du, dies könnte die Zukunft sein, die uns bevorsteht?

Ich denke nicht. Machbar wäre es aber. Denn die technischen Möglichkeiten sind vorhanden – tatsächlich ist alles, was uns von einem autokratischen Überwachungsstaatsszenario trennt, die Politik. Überwachungstechnologien sind wie ein Messer: Du kannst dir damit ein Brot schmieren, du kannst aber auch jemanden damit bedrohen. Deshalb ist es so wichtig, zur Wahl zu gehen: Fanatiker wie die der AfD, die in sozialen Netzwerken Journalisten mit Konsequenzen für ein eingebildeten Fehlverhalten drohen, dürfen dieses Messer nicht in die Hände bekommen. Man kann die Datensammelwut der NSA und das Verhalten des BND scharf kritisieren. Aber momentan kann man trotz allen technischen Möglichkeiten in Deutschland immer noch frei seine Meinung sagen. Die Politik muss dafür sorgen, dass das so bleibt. Wir wählen die Politik. Es liegt an uns.

Ebenfalls von dir erscheint bald ein Roman mit dem Titel "Cronos Cube". Wie hängen Comic und Romanfassung zusammen und wie unterscheiden sie sich?

Die Karte von Cronos
Der Roman spielt im Jahr 2030, dreht sich um zwei junge Iren in einem Überwachungsstaat und vor allem natürlich um die virtuelle Realität Cronos, die sich so echt anfühlt wie die Wirklichkeit. Diese virtuelle Realität ist im Prinzip ein riesiges MMORPG, nur dass man nicht nur durch Dungeons läuft, sondern etwa auch Reisereporter oder Ladenbesitzer sein kann. Man kann den Tod erleben, sich selbst entdecken, gefahrlos die eigenen Grenzen ausloten. Damit birgt das Spiel ein hohes Suchtpotenzial für Menschen, die sich in der totalüberwachten Wirklichkeit nicht mehr wohlfühlen oder durch das soziale Raster gefallen sind. Und zugleich ist es eine Brutstätte des Widerstands. Das Cronos-Szenario bietet Raum für etliche Geschichten nahezu jeden Genres.

Für den Comic habe ich mir eine Nebenfigur aus dem Roman genommen, Eamon, der ein Nachbar einer meiner Romanhauptfiguren ist. An ihm lässt sich das Gegensatzpaar Überwachungsstaat/Cronos am besten illustrieren: Im Roman, der zwei Jahre nach der Comichandlung spielt, erscheint er in der Wirklichkeit bereits als mager, blass, blaulippig und stinkend, weil er sich so selten wäscht. In Cronos ist er ein Held mit gereiften Fähigkeiten und einem großen und treuen Freundeskreis. Cronos ist für ihn zu seiner eigentlichen Realität geworden, in der er sich fast ausschließlich aufhält. Er kehrt nur noch in die Wirklichkeit Irlands zurück, um etwas zu essen, damit sein Körper nicht irgendwann aufgibt. Im Comic lernt er Cronos allerdings erst noch kennen, die Entwicklung steht ihm noch bevor. Der Comic ist also eine Art Vorgeschichte, ein Spin-off. Die Romanhandlung geht viel tiefer, behandelt ein breiteres Themenspektrum und vor allem zwei andere Figuren, Lachlan und Zack. Der Liesmich Verlag, bei dem das Buch erscheint, hat auf seiner Seite www.liesmich-verlag.de/buecher eine tolle Zusammenfassung veröffentlicht. Da lässt sich der Roman auch vorbestellen.

Wie und wann hast du mit dem Comiczeichnen angefangen, und was hat deinen Zeichenstil mitgeprägt/inspiriert?

Mein Zeichenstil, das ist ja eigentlich noch nicht wirklich ein gefestigter Stil. Ich betrachte „Cronos Cube: Eamon“ als eine sehr lange stilistische Selbstfindungsphase. Früher war das mal anders: Als ich zwölf war, trat Sailor Moon in mein Leben und von da an drehte sich bei mir alles um Manga. Entsprechend sahen meine Zeichnungen aus. 



Mit etwa 20 Jahren habe ich begonnen, mich mehr dem Schreiben als dem Zeichnen zu widmen, und dann lag die Kunst fast zehn Jahre lang brach. Bis der Liesmich Verlag meinen Roman nahm und mir die Idee kam, ich könnte doch einen Comic zum Buch zeichnen. Allerdings waren mir in der Zwischenzeit alle künstlerischen Vorbilder abhandengekommen. Ich lese schon seit Jahren keine Mangas mehr, stattdessen lieber Batman. „Arkham Asylum“ von Dave McKean hat mich begeistert, und ich verehre Scott McCloud, aber zeichnerisch orientieren konnte ich mich an beiden nicht. Was ich jetzt zeichne, ist wohl eine Mischung aus frühen Mangaeinflüssen, westlicher Comiclektüre und einem sich ständig wandelnden Ich-weiß-noch-nicht-so-recht-wo-ich-überhaupt-hinwill.

Woran arbeitest du gerade?

Am zweiten Band von „Cronos Cube“, dem Roman, und „Eamon“ will auch weitergezeichnet werden. Ansonsten habe ich lauter Pläne. Ein anderes Jugendbuch drängt nach draußen, ein zweites Comicprojekt steht in der Pipeline. Um das will ich mich aber erst kümmern, wenn sich mein Stil etwas gefestigt hat, und es dann auch bei Comicbuchverlagen versuchen.
Eine Seite aus Eamon
Außerdem betreibe ich jetzt auf www.cronoscube.de einen Autorenblog, auf dem irgendwann auch Hintergrundinformationen zur virtuellen Welt Cronos zu finden sein sollen. Und ich möchte einen Shop eröffnen, in der Hoffnung, dass ein paar Leute meine Bilder kaufen – wie jede Studentin bin ich notorisch pleite.

Was sind deine aktuellen Favoriten auf myComics?

Momentan interessiere ich mich total für „Jazam!“, das ich mir nun endlich bestellen muss. Die Leseprobe sieht nach geballter Kreativität aus. Ansonsten ist mein aktueller Favorit „Der Golem des Grauens“, der den vierten Platz beim Wettbewerb gemacht hat. Mein Partner und ich erzählen uns heute noch Stellen aus dem Comic und lachen uns darüber kaputt. So einfach, so brillant. Ich finde, an so kurzen Comics lässt sich gut erkennen, ob jemand ein Storyteller ist. Und Sascha Dörp hat’s echt drauf. Hätte ich mehr Zeit, könnte ich sicher noch mehr Empfehlungen aussprechen. Stattdessen bin ich selbst immer auf Empfehlungen angewiesen. Wer mich also auf (s)einen Comic aufmerksam machen möchte, soll nicht zögern, mich auf Twitter unter @wintermohn oder auf Instagram unter @herbstmohn zu kontaktieren.

Vielen Dank für das Interview!
Thekla Kraußeneck

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